Vierradantrieb für Gelände und Straße

Bei (nicht übermäßig teuren) PKWs dominiert heute der Vorderradantrieb. Viele glauben, dass diese Art des Antriebs die technisch bessere Lösung sei. Tatsächlich ist sie die wirtschaftlich bessere Lösung für den Autohersteller, denn der Vorderradantrieb ist billiger als ein Hinterradantrieb. Dass der Vorderradantrieb nicht das Nonplusultra sein kann, erkennt man daran, dass man bei echten Premium-Automobilen wie den größeren Modellen von BMW und Mercedes nach wie vor den Hinterradantrieb findet. Die optimale Lösung ist aber – auch für die Straße – der Allradantrieb.

Walter Röhrl, dass Rallyefahrer-Urgestein, war und ist für seine flotten Sprüche bekannt. In früheren Zeiten sagte er; „Vernünftige Autos werden vom Antrieb geschoben, nicht gezogen!“ Das ist der Fall, wenn das Auto einen Hinterradantrieb besitzt. Später dann, als er Audis mit der Quattro-Technologie und später auch Allrad-Porsches fuhr, sagte er; „Im Rallyesport wurde meine Vermutung bestätigt, dass ein Auto mit zwei angetriebenen Rädern nur eine Notlösung ist.“

Sowie das Motorrad ist das Allradauto – sei es eines für die Straße oder eines fürs Gelände – ein feines Männerspielzeug. Und bei Outdoor-Aktivitäten wie der Jagd etwa ist es oft auch ein wertvoller Helfer.

Autos mit Allradantrieb nicht nur fürs Gelände

Bei Autos mit Allradantrieb denken die meisten vor allem an Geländewagen. Hier ist der Allrad Pflicht. SUVs ohne Allrad, womöglich noch mit Frontantrieb, sind schlichtweg lächerlich. Wenn auch der Allrad alleine keine Geländegängigkeit bewirken kann, ist er abseits der Straße doch so gut wie unerlässlich.

Allrader im Gelände
Wenn man von Allradautos spricht, denken wohl die meisten zunächst an Geländegängigkeit… (Bild: ahmad syahrir/Lizenz: PD)

Was aber bringt der Allrad an einem PKW, der die anderen Merkmale eines Geländefahrwerks – entsprechende Bodenfreiheit und Achsverschränkung – nicht aufweist?

Gut, es gibt da zunächst einmal den Vorteil, dass man bei Schnee-oder Eisglätte besser vorankommt, da die Reibung aller vier Räder genutzt wird. Das ist der gleiche Effekt, den auch der Geländewagen auf rutschigen Untergrund nutzt. Das ist aber lange nicht alles. Die Tatsache, dass bei einem Allradauto die Reibung aller vier Räder zur Kraftübertragung auf den Untergrund benutzt werden kann, verhilft auch auf der Straße zu einem besseren Fahrverhalten.

Böse Zungen könnten nun behaupten, dass Audi seinen Quattro-Antrieb entwickelt hat, um nicht zugeben zu müssen, dass mit dem Vorderradantrieb in Wettbewerben kein Blumentopf zu gewinnen ist, indem man in Wettbewerbsfahrzeugen Hinterradantriebe verbaut hätte. Das würde aber zu flach greifen: Auch für die Straße gedachte Autos, die von Haus aus einen Hinterradantrieb haben, gibt es mit Allrad. Das bedeutet, dass der Allrad nicht nur dem Vorderrad- sondern auch dem reinen Hinterradantrieb offensichtlich überlegen ist – wie auch Walter Röhrl bestätigt.

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… aber auch bei sportlichen Straßenfahrzeugen wie den Quattro-Modellen von Audi (Hier der „Ur-Quattro“) macht es Sinn, die Reibung aller vier Räder für die Traktion heranzuziehen (Bild: Daniel Milner/Lizenz: CC Attribution-Share Alike 4.0 International)

Allradantrieb gibt es nicht nur bei PKWs bzw. kleinen Geländfahrzeugen. Auch LKWs müssen öfter geländegängig sein und werden daher auch mit Allradantrieben ausgerüstet. Hier gibt es nicht nur Vierrad- sondern auch Sechs- und Achtradantriebe. Solche LKW dienen nicht nur militärischen Zwecken, sondern werden z.B. auch auf dem Bau und bei Expeditionen eingesetzt.

Differenzialgetriebe

Im Grunde weiß jedes Kind, dass sich die beiden Räder auf einer Achse unterschiedlich schnell drehen, wenn man eine Kurve fährt. Deswegen braucht man ein Differenzial, ein Ausgleichsgetriebe. Dieses madcht es aber auch möglich, dass das eine Rad einer Achse durchdreht während das andere stehen bleibt. Es reicht also, dass ein Rad der Achse auf rutschigen Untergrund steht, das andere kann so viel Grip haben wie es will; der Wagen kommt nicht vom Fleck. Abhilfe schafft hier eine Differenzialsperre, welche die Funktion des Differenzialgetriebes außer Kraft setzt.

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Ein Ural 375 aus der Sowjetunion, der im Ostblock nicht nur für militärische Zwecke eingesetzt wuerde (Bild: Alf van Beem/Lizenz: CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication)

Weniger bekannt ist, dass bei der Kurvenfahrt auch die Vorder- und die Hinterräder sich unterschiedlich schnell drehen können. Ein Auto mit einem permanenten Allradantrieb, braucht daher unbedingt ein Mitteldifferenzial, welches Drehzahlunterschiede zwischen der Vorder- und der Hinterachse erlaubt. Das Mitteldifferential muss aber unbedingt auch eine Sperre besitzen. Ist es nämlich nicht gesperrt, reicht es, dass eines der vier Räder durchdreht, damit der ganze Wagen nicht mehr vom Fleck kommt.

Welche Differenzialsperren sind unbedingt nötig?

Sperrt man das Mitteldifferential eines Autos mit Allradantrieb und fährt langsam enge Kurven auf Asphalt oder Beton, kann man deutlich feststellen, dass die Räder radieren, weil sie sich unterschiedlich schnell drehen wollen. Bei höheren Geschwindigkeiten, so bei der normalen Straßenfahrt kann man das natürlich nicht gebrauchen, weil es die Straßenlage komplett versauen und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Antriebsstränge beschädigen würde.

Autos mit Allradantrieb, bei denen der Allradantrieb zugeschaltet werden kann, besitzen in der Regel kein Mitteldifferential. Der Gedanke dabei ist, dass man das Mitteldifferential bei der langsamen Fahrt im Gelände, wenn also der Allrad eingeschaltet ist, nicht benötigt, weil man es eh sperren würde. Für das Gelände ist das also o. k. aber auf der Straße kann man den zuschaltbaren Allrad eines solchen Autos mit Allradantrieb gar nicht nutzen, da man die gleiche Situation hätte wie bei einem permanenten Allrad mit gesperrten Mitteldifferential.

Die Mitteldifferentialsperre ist unbedingt notwendig und deswegen bei permanenten Allradern in der Regel auch vorhanden, wenn es keine Achsdifferenzialsperren gibt, wie etwa beim Lada Niva. Auch ohne diese Achsdifferenzialsperren ist der Lada Niva den meisten Geländewagen überlegen. Wer noch mehr Geländegängigkeit will, muss wesentlich tiefer in die Tasche greifen und sich einen Mercedes G kaufen. Bei Mercedes G gehören dann aber auch die Achsdifferenzialsperren selbstverständlich dazu.

Unimog, Autos mit Allradantrieb
Der Unimog, sozusagen ein Mittelding zwischen kleinem LKW und Traktor verfügt selbstverständlich auch über einen Allradantrieb. (Bild: Norbert Schnitzler/Lizenz: CC Attribution-Share Alike 2.0 Generic)

Natürlich kann man – wenn man das Geld dafür ausgeben kann bzw. will – bei Autos mit Allradantrieb Differenzialsperren auch nachrüsten. Im Fall des Lada Niva habe ich mir davon abraten lassen. Der Inhaber der Lada-Werkstatt meines geringsten Misstrauens meinte, dass die gesperrten Differenziale bei den Nivas schnell kaputt gingen.

„Untersetzungsgetriebe“ bei Autos mit Allradantrieb

Autos mit Allradantrieb fürs Gelände besitzen meistens ein im Volksmund so genanntes „Untersetzungsgetriebe“. Genau genommen ist das Quatsch. Es gibt keine Getriebe mit Untersetzung; das was damit gemeint ist, heißt „Übersetzung ins Langsame“. Eher könnte man von einem Reduktionsgetriebe sprechen. Wie dem auch sei, ein solches Getriebe ermöglicht in jedem Gang die Wahl zwischen einer längeren und einer kürzeren Übersetzung, verdoppelt also im Prinzip die Anzahl der Gänge, die das Schaltgetriebe zur Verfügung stellt.

Die zusätzlichen Wellen für den zweiten Achsantrieb, das gegebenenfalls verbaute Mitteldifferential und auch das oft vorhandene Reduktionsgetriebe erhöhen natürlich das Gewicht des Fahrzeuges und die Reibungsverluste auf dem Weg vom Motor zu den Rädern. Das macht die Mühle eventuell etwas unhandlicher, verbraucht mehr Sprit bzw. bringt geringere Fahrleistungen.

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Kleinlastwagen mit Allrad aus der DDR: Ein Robur Garant, der das Segment oberhalb des Barkas abdecken sollte (Bild: Norbert Schnitzler/Lizenz: CC Attribution-Share Alike 2.0 Generic)

Auf der Straße kann man mit einem Allradantrieb die vorhandene Leistung besser ausnutzen. Selbst wenn durch Gewicht und Reibungsverluste des Allradantriebs die Fahrleistung theoretisch etwas geringer sind, wird der Besitzer eines Autos mit Allradantrieb per Saldo schneller unterwegs sein. Zumindest, wenn er sein Auto hinreichend beherrscht, weil er die Leistung, die an den Rädern ankommt besser nutzen kann.

Die Freiläufe

Der Zweck eines zuschaltbaren Allradantriebs besteht darin, dass dieser nur Reibungswiderstand erzeugt, wenn man ihn auch braucht. Es reicht daher nicht, wenn beim abschalten des Allradantriebs dieser vom Getriebe getrennt wird. Der komplette Antriebsstrang für die zweite Achse läuft ja trotzdem noch mit, da sie nun beim Fahren über die Räder mit gedreht wird. Und dabei entsteht genauso viel Reibung, wie wenn sie vom Motor her angetrieben wird.

Deswegen besitzen Autos mit zuschaltbaren Allradantrieb in den betreffenden Rädern Freiläufe. Diese Freiläufe können sich jedoch nachteilig auswirken, wenn man den Allradantrieb nutzt. Deswegen sperrt man sie, wenn man den Allrad benutzt, um eine starke Verbindung vom Getriebeausgang zu den Rädern zu erzeugen.

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Und hier noch einmal ein hochkarätiger Sportwagen mit Allrad: Der Audi R 8 (Bild: Elise240SX/Lizenz CC Attribution-Share Alike 4.0 International)

Es gibt hier einfache Konstruktionen, bei denen man aussteigen und die Freiläufe an den nun zugeschalteten Rädern von Hand sperren muss. Verbreitet sind jedoch auch automatische Freilaufsperren. Ein solcher automatischer Freilauf sperrt sich in dem Moment, wenn das Rad angetrieben wird.

Doch wie löst man die Freilaufsperre wieder? Eine gängige Technik besteht darin, dass man nach dem Abschalten des Allradantriebs ein kleines Stück in die entgegengesetzte Richtung fährt. Ist man zuletzt vorwärts gefahren fährt man nach dem Abschalten ein kleines Stück zurück und umgekehrt.

Wie die Freilauf waren beim jeweiligen Auto zu bedienen sind, steht in jedem Fall in der Bedienungsanleitung.

Elektronisch geregelte Drehmomentverteilung bei Autos mit Allradantrieb

Bei rein mechanischen Kraftübertragungen gibt es kaum Möglichkeiten die Kraftübertragung an die einzelnen Räder zu steuern. Anders wird das, wenn man das Drehmoment elektronisch verteilen kann.

Ein einfaches Anti-Schlupf-System wie man es bei älteren Autos finden kann, welches nur den Motor herunter regelt, kann hier nicht als Basis dienen. Systeme, die einzelne Antriebsräder bremsen, wenn sie durch zu drehen drohen, hingegen verteilen sozusagen das Drehmoment nach Bedarf auf die einzelnen Räder. Das bedeutet, dass im Idealfall jedes Rad genau so viel Drehmoment bekommt, dass es gerade eben nicht durchdreht. Wenn das richtig funktioniert, wird die Reibung zwischen Rädern und Untergrund optimal ausgenutzt und die höchstmögliche Traktion erreicht.

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Der Lohner-Porsche, ein frühes Allradauto, das Radnaben-Elektromotoren verwendet. Diese Technik ermöglicht es mit entsprechender Steuerung heute, jedes Rad mit dem optimalen Drehmoment arbeiten zu lassen. (Bild: Historisch)

„Graduell mithelfende“ Achsantriebe gibt es auch. Bereits um die Jahrtausendwende gab esbeim Isuzu Trooper so etwas. Neben dem voll eingeschalteten Allrad gab es einen Modus, in dem die Vorderachse entsprechend dem aktuellen Bedarf an der Traktion mitwirkte. Man konnte ihn zum Beispiel benutzen, wenn man einen schweren Anhänger zog. Es gab auch eine Anzeige, an der man ablesen konnte, in welchem Maße die Vorderachse jeweils mithalf. Man konnte dadurch sehr schön beobachten, wie zum Beispiel mehr Drehmoment auf die Vorderräder gegeben wurde, wenn man am Berg Gas gab.

Elektrische Autos mit Allradantrieb

Sehr einfach lässt sich der Allradantrieb natürlich bei Elektroautos umsetzen. Man benötigt ja im Prinzip nur einen separaten Elektromotor für jedes Rad. Natürlich muss dieser dann auch entsprechend gesteuert werden, was mit der modernen Fahrzeugelektronik jedoch kein Problem ist. Diese Technik lässt sich natürlich auch bei Hybrid-Autos sehr schön einsetzen, da hier ja die Räder auch elektrisch angetrieben werden.

Fazit:

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Allrad tatsächlich nicht nur in Geländefahrzeugen sinnvoll ist. Auch auf der Straße bietet er Vorteile, sowohl im normalen Fahrbetrieb auf griffiger Straße als auch besonders bei schlechten Straßenverhältnissen, wenn die Antriebsräder zum Durchdrehen neigen. Nachteile sind natürlich das höhere Gewicht, die größeren Reibungsverluste und die höheren Kosten bei der Anschaffung eines Autos mit Allradantrieb.