Fleischliches bis zum Abwinken

Seit einiger Zeit macht mal wieder eine neue Diät von sich reden: Carnivore. Diese Ernährungsweise soll nicht nur schlank machen und für Wohlbefinden sorgen, sondern gar die einzig richtige und dem Menschen gemäße Ernährungsform sein. Was ist dran an der Sache, den Speisezettel auf tierische Nahrungsmittel zu beschränken? Kann man nur von tierischen Produkten leben? Ist Gemüse tatsächlich giftig?

Da gibt es nun also auch das Gegenstück zu den Veganern: Anti-Veganer könnte man ja sagen, Leute also, die jegliche pflanzliche Nahrung ablehnen. Carnivore Diet nennt sich dieser neue Trend, der natürlich auch mal wieder aus den USA zu uns kommt. Nach Low-Carb und No-Carb die nächste logische Steigerung? Eine Ernährungsform mit der man leben kann oder eine gezielte Fehlernährung, die den Stoffwechsel austrickst? Gesund oder gefährlich?

Böse Cerealien

Das Cerealien in großen Mengen nicht zum natürlichen Speisezettel des Menschen gehört haben, ist logisch. Getreide zum Sattessen gab es erst ab der Einführung des Ackerbaus. Nun hat der Mensch ja physiologisch eine frappante Ähnlichkeit mit dem Schwein. Betrachtet man nun auch den Lebensraum des Menschen in der Altsteinzeit, dürfte auch sein Speisezettel dem des Wildschweins sehr ähnlich gewesen sein. Und da waren eben so gut wie keine Grassamen dabei. Allerdings ernährt sich das Wildschwein andererseits auch nicht carnivore.

Skull
Anhand des Zahnbefundes lässt sich bei Schädelfunden auch etwas über die Ernährungsweise des ehemaligen Besitzers sagen… (Bild: Ibex73/Lizenz: CC Attribution-Share Alike 4.0 International)

Was Müsli-Macher verschweigen und Müsli-Freaks wohl meist auch nicht wissen: Wenn ein Archäologe einen Schädel findet, guckt er sich auf jeden Fall mal die Zähne an. Daran erkennt er mit guter Wahrscheinlichkeit, ob er diesem Schädel vor oder nach der neolithischen Revolution zu datieren hat. Ein intaktes Gebiss weist auf einen Jäger und Sammler hin, Parodontose und Karies auf einen Ackerbauern. Das Ekelbild mit dem üblen Gebiss gehörte daher noch eher auf Cerealien als auf Zigaretten. Ich vermute sogar, dass die Diabetes Typ B, der Alterszucker – man könnte auch sagen angefressene Diabetes – auch erst mit dem Ackerbau in die Welt kam. Wildschweine, die sich heute großenteils in den Maisäckern ernähren, werden vermutlich nur nicht alt genug, um von dieser Fehlernährung eine Diabetes zu entwickeln.

Von Low-Carb und Paläo zu Carnivore

Cerealien vom Speisezettel zu verbannen ist also gar keine so schlechte Idee. Sie sind ja auch nicht die einzige Quelle für Kohlenhydrate. Zum einen werden wohl höchstens Fanatiker konsequent und radikal auf Zucker verzichten. Zum andern gehört ja auch Fruchtzucker aus Obst und Gemüse zu den Kohlenhydraten. Und diese Nahrungsmittel sind bei Low-Carb ja durchaus erlaubt. No Carb im strengen Sinne wird daher wie Carnivore auch auf Obst und Gemüse verzichten müssen. Ziel ist hier ja, die Energieversorgung von Glukose auf Ketone umzustellen. Also in den katabolen Modus des Stoffwechsels zu kommen.

Andererseits wird bei Low-Carb ja nicht unbedingt bei jeder Mahlzeit auf Kohlenhydrate verzichtet. Gemüse und Fleisch ohne Sättigungsbeilage ist abends am sinnvollsten. Auch die „guten“, die langsamen Kohlenhydrate kommen ja irgendwann ins Blut. Und weil im Schlaf weniger Energie benötigt wird, steigt von ihnen auch der Blutzuckerspiegel. Langsamer zwar, aber irgendwann springt halt doch die Bauchspeicheldrüse an und macht Fett daraus. Tagsüber hingegen kann man mit der körperlichen Aktivität die Kohlenhydrate energetisch nutzen anstatt sie als Fett einzulagern. Wenn sie langsam kommen und nicht so schnell, dass sie verblutfettet und eingelagert werden.

Carnivore - Tiger
Leben Fleischfresser gesünder? (Bild: S. Taheri/Lizenz: CC Attribution-Share Alike 2.5 Generic)

Die Paläo-Diät ist nun eine Variante von Low-Carb: Hier soll nichts gegessen werden, was dem Menschen nicht bereits in der Altsteinzeit zur Verfügung stand. Genau genommen darf man dann aber auch kein Gemüse aus dem Gartenbau essen. Keine Hülsenfrüchte als Lieferant von pflanzlichem Eiweiß. Und Eier und Milchprodukte sowieso nicht. Das ist also gar nicht so leicht zu realisieren. Denn ein Teil der Dinge, die bei Paläo durchaus erlaubt wären, nämlich Würmer, Käfer und dergleichen, werden wohl nur die allerhärtesten Paläo-Freaks mampfen.

Die Argumente für Carnivore

Die starke Reduktion von Kohlenhydraten lässt sich also sehr überzeugend begründen. Gemüse gilt doch aber bei den allermeisten Leuten, die sich über ihre Ernährung Gedanken machen, als gesund. Der Verzicht auf stärkehaltige Lebensmittel bedeutet ja nicht, dass man keine Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe bekommt. Die sind ja auch im Obst, im Salat, im Kohl usw. enthalten. Essbare Wildpflanzen und Wildobst können das bei der Paläo-Diät ebenfalls leisten.

carnivore - No Carb
No Carb im weniger strengen Sinne bedeutet Verzicht auf die Sättigungsbeilage… (Bild: PxHere/Lizenz: PD)

Verzicht auf Kohlenhydrate macht also Sinn. Und das tut man natürlich bei der Carnivore-Diät automatisch. Aber warum, bitte, komplett auf Pflanzen verzichten? Die Argumentation der Carnivore-Anhänger ist hier, zumindest auf den ersten Blick, stringent: Pflanzen wollen nicht gegessen werden und sind daher giftig. Zumindest die Teile, die keine Früchte sind. Die Früchte sollen ja gegessen werden, sie sind ja gewissermaßen der Botenlohn für das Verbreiten der Samen.

Übrigens seien die Samen besonders giftig, da sie für die Arterhaltung entscheidend sind. Da ist wohl tatsächlich was dran. Auf jeden Fall finden wir in Nüssen Blausäure. Bei Mandeln kann der Blausäuregehalt sogar problematisch sein. Blausäure ist hochgiftig und wirkt unter anderem auf Insekten. Deswegen gibt es ja auch blausäurehaltige Pflanzenschutzmittel. Unter dem Aspekt von Carnivore sind also Nüsse (und Cerealien auch) besonders schädlich.

Carnivore hinterfragt

Das Pflanzen sich mit Giften gegen das Gefressenwerden wehren, leuchtet ein. Allerdings gibt es jede Menge Tiere, die Pflanzen fressen. Wobei natürlich etwas, das für eine Art ungiftig ist, für eine andere Art tödlich giftig sein kann. Wir Menschen werden von Schokolade und Rosinen höchstens dick. Für Hunde sind sie beide giftig. Kaninchen können unbeschadet Knollenblätterpilze fressen, die für den Menschen tödlich giftig sind.

Er will auch leben – und ist deswegen giftig. Sagen jedenfalls die Carnivore-Anhänger. (Bild: EM80/Lizenz: Pixabay License)

Tatsächlich können aber auch Früchte giftig sein, die doch gefressen werden sollen. Nicht nur hochgiftig wie etwa die Tollkirsche, sondern auch schwach giftig. Tomaten und Auberginen etwa. Nun sind die aber speziell im unreifen Zustand richtig giftig. Macht auch Sinn, denn gefressen werden sollen sie ja erst, wenn sie reif sind.

Der Eichelhäher frisst unter anderem Eicheln und andere Nüsse. Das ist aber kein Nachteil für die Bäume, im Gegenteil: Er vergräbt die Dinger nämlich als Vorrat und findet nicht alle wieder. Zwar senkt er einerseits die Vermehrungschancen der Bäume, indem er einen Teil ihrer Samen frisst. Für diejenigen Samen aber, die er vergräbt und nicht wieder findet, erhöht er andererseits die Chance, zu keimen. Die Bilanz ist für die Bäume offenbar positiv, denn den Forstleuten gilt der Eichelhäher als „Waldgärtner“.

Der natürliche Speisezettel des Menschen dürfte große Ähnlichkeit mit dem des Wildschweins gehabt haben… (Bild: Autor)

Man sieht, ganz so schwarz-weiß wie es die Carnivore-Anhänger malen, ist die Realität offenbar nicht. Nicht nur auf Pflanzen spezialisierte Tiere wie die Wiederkäuer kommen mit dieser Nahrung klar. Das Wildschwein – wie gesagt dem Menschen physiologisch sehr ähnlich – frisst durchaus auch Pflanzenteile. Wenn man durch den Wald geht, findet man im Frühjahr und Sommer allerhand pflanzliche Dinge die recht gut schmecken. Wieso sollte der Jäger und Sammler daran vorbeigegangen sein, wo er doch ständig auf der Suche nach Kalorien sein musste?

Vor- und Nachteile der Fleischfresserei

Leute, die nach der Carnivore-Diät leben, wissen wahre Wunderdinge zu berichten. Das bedeutet jetzt aber nicht, dass diese Diät unbedingt das Nonplusultra wäre. Man muss ja bedenken, dass Carnivore letztendlich eine Form der Keto-Diät ist. Deutliche Verbesserungen bei Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden empfinden nicht nur die Fleischfresser, sondern auch andere Keto-Anwender.

Dadurch, dass es bei uns in der Zivilisation keine Hungerzeiten gibt, befinden wir uns fast immer im anabolen Modus des Stoffwechsels. Daher ist es durchaus denkbar, dass man sich besser fühlt, wenn man dann mal auch mal im katabolen Modus ist. Auch das Gefühl, etwas für Aussehen, Fitness und Gesundheit zu tun, hilft sicher, sich gut zu fühlen. Auch Veganer berichten, dass es ihnen mit ihrer neuen Ernährung deutlich besser ginge als vorher. Wenn man vor einer Ernährungsumstellung ungesund und belastend gegessen hat, wirkt sich der Verzicht auf Dinge wie Zucker oder Alkohol natürlich auch positiv aus.

Carnivore - Steak
Lecker, lecker… Stimmt schon, aber: Das und dann noch Milchprodukte und Eier – das war’s dann aber auch schon bei der Carnivore-Ernährung. (Bild:
Alice Wiegand/Lizenz: CC Attribution-Share Alike 4.0 International)

Gewichtsabnahme mit Carnivore muss logischerweise funktionieren. Schließlich befindet man sich bei einer ausschließlichen Ernährung mit tierischen Lebensmitteln zwangsläufig im Keto-Modus. Wenn man es genau betrachtet, muss No-Carb sogar in letzter Konsequenz zu Carnivore führen, da man mit sämtlichen pflanzlichen Nahrungsmitteln mehr oder weniger auch Kohlenhydrate zu sich nimmt.

Natürlich ist da auch noch die Frage der Kosten. Fleisch ist dummerweise recht teuer. Erst recht in Zeiten, in denen sowieso alles teurer wird, ohne dass die Einkommen nachziehen.Davon gar nicht zu reden, dass Fleisch ja heute böseTM Auch Milchprodukte sind nicht ganz billig, können ebenfalls Löcher ins Portmonee reißen. Carnivore ist also leider auch eine Frage des Geldes.

Ist das gefährlich?

Die Atkins-Diät wurde früher auch schon mal als lebensgefährlich hingestellt. Einseitige Ernährung mag auf die Dauer ungesund sein, aber man stirbt sicher nicht in kürzester Zeit daran. Sonst wären die Jäger und Sammler – vor allem in der Eiszeit – jeden Winter ausgestorben. Wenn man mit einer Diät extremes Übergewicht abbauen kann, kann sie per Saldo nicht schlecht sein. Drastisch ausgedrückt: Selbst wenn eine Ernährungsweise fünf Lebensjahre kosten würde, wäre die Bilanz positiv, wenn man dafür nicht 30 Jahre zu früh an den Folgen eines extremen Übergewichts stirbt.

Wenn man es näher betrachtet, stellt man fest, dass der menschliche Körper eigentlich dafür eingerichtet sein muss, auch Zeiten von einseitiger oder gar mangelnder Ernährung zu überstehen. Beim Steinzeitjäger war sicher oft genug Schmalhans Küchenmeister und im Winter muss die Ernährung mit Fleisch überwogen haben.

Burger geht auch ohne Brötchen und bei Low-Carb sind sogar die Wedges akzeptabel, vor allem tagsüber, wenn wir die Kohlenhydrate noch verbrennen können. (Bild: Triplec85/Lizenz: CC Attribution-Share Alike 4.0 International)

Was man aber nicht vergessen sollte: Ernährungsumstellung allein ist lange nicht alles. Es sollte auch körperliche Betätigung hinzukommen. Am besten natürlich Kraftsport, denn der bringt den Stoffwechsel schnell in den katabolen Modus und sorgt bei uns Männern auch für Testosteron.

Kann man Carnivore durchhalten?

Bei Diäten kommt es immer darauf an, dass man sie auch durchhält. Lang genug durchgehalten führt auch FdH zu einer Gewichtsabnahme, das ergibt sich schon aus dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik. Umso schwerer durchzuhalten ist eine Diät bzw. Ernährungsform jedoch, je mehr man dabei verzichten muss. Und auch Carnivore – so lecker das zunächst erscheint – bedeutet Verzicht auf vielerlei Dinge, die in der Regel auch der überzeugte Fleischfresser liebt.

Bevor ich Low-Carb in Form des Verzichts auf die Sättigungsbeilage beim Abendessen ausprobiert hatte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass man ohne Sättigungsbeilage satt wird. Sättigungsbeilage nennt man Kartoffeln, Nudeln und Co. aber wohl nicht, weil man ohne sie nicht satt werden könne. Sondern vermutlich eher, weil sie den Hunger stillen, der übrig bleibt, weil das Fleisch eben begrenzt ist.

Ich rechnete also bei meinem ersten Versuch mit Low-Carb damit, dass mir nach dem Essen zumindest irgendwie etwas fehlen würde. Und hoffte halt, dass das besser sei, als richtig hungrig zu sein. Bereits beim ersten Versuch stellte ich aber fest, dass man von einem ordentlichen Steak und einem reichhaltigen Salatsteller durchaus richtig satt wird. Und ich bilde mir sogar ein, etwas angenehmer satt zu sein, weniger belastet sozusagen, als nach einem Essen mit Sättigungsbeilage.

Ständig auf Brot, Kartoffeln, Reis usw. zu verzichten, dazu hätte ich aber doch keine Lust. Bei Carnivore sind es dann aber noch weniger Dinge, die man essen darf. Nicht nur Gemüse, auch Alkohol, Softdrinks, Süßigkeiten, Knabbereien, Kaffee, Tee… Alles tabu! Wenn man es genau betrachtet ist das fast so asketisch wie Wasser, Brot und ein wenig Gemüse. Und ach, stimmt auch noch: Wie soll man(n) an Flavonoide für das Testosteron kommen? Oder reichen Zink, ungesättigte Fettsäuren und Vitamin D aus tierischen Quellen auch aus?

Nicht päpstlicher sein als der Papst

Nun gibt es aber auch noch das sogenannte „Cheaten“. Nach dem Motto „Einmal geht das schon,“ wie weiland der Herr Mechanikermeister Leonhard Eckle augenzwinkernd sagte, als ich ihn darauf hinwies, dass es doch verboten sei, mit der Schieblehre anzureißen und es nun selbst tat.

Pizza Brutale
Einmal geht das schon… Pizza Brutale Fokko Art (Salami und Käse flächendeckend) und bitterböser Softdrink (Bild: Autor)

„Cheaten“ mag das heute heißen, aber schon vor vielen Jahren las ich, dass ein Schlemmertag in der Woche als Teil einer bewussten Ernährung durchaus gut sei. Das leuchtet ein: Es befriedigt nicht nur gewisse Gelüste, sondern bewirkt auch, dass man mancherlei Nährstoffe bekommt, die in der gewählten Ernährungsweise eventuell zu kurz kommen.

Selbstkasteiung durch Verzicht kann sich durchaus auch negativ auf die Körperchemie auswirken. Gefühle haben immer etwas mit Biochemie zu tun. Wenn man aus der gewählten Ernährungstrategie keine absolut zu befolgende Heilslehre macht, führen mehr als ein Weg nach Rom. Und sicher auch Carnivore. Aber bitte immer mit körperlicher Betätigung. Am besten natürlich mit Kraftsport.